Der Erwartungswert im Überblick

  • Der Erwartungswert gibt an, welcher Wert bei einem Zufallsversuch im Mittel zu erwarten ist.

  • Die Formel zur Berechnung des Erwartungswerts lautet:
    E(X)= x_1 \cdot P(X=x_1) + x_2 \cdot P(X=x_2) + … + x_n \cdot P(X=x_n)

  • Für spezielle Wahrscheinlichkeitsverteilungen kann der Erwartungswert direkt abgelesen werden.

  • Summe und Produkte mehrerer Erwartungswerte lassen sich mit Rechenregeln zusammenfassen.

Erwartungswert Video

Quelle sofatutor.com

Einführung Erwartungswert

Der Erwartungswert ist ein Begriff aus der Stochastik. Er gibt an, welcher Wert, also welches Ergebnis, bei einem Zufallsversuch im Mittel zu erwarten ist. 

Betrachten wir als Beispiel den Münzwurf: Beim Ergebnis Kopf bekommt der Spieler 1 Euro und bei Zahl bekommt er 2 Euro. Intuitiv ist klar, dass der Spieler auf lange Sicht im Mittel 1,50 Euro bekommt.

Eine Herleitung dieses Erwartungswerts erfolgt nun mithilfe der allgemeinen Formel zur Berechnung des Erwartungswerts.

Berechnung des Erwartungswerts bei diskreten Verteilungen

Bei einer diskreten Verteilung kann die Zufallsvariable X nur abzählbar viele Werte annehmen. Bei dem oben betrachteten Beispiel des Münzwurfs handelt es sich also um eine diskrete Verteilung, da die Zufallsvariable X genau zwei Werte annehmen kann: 1,00\,€ und 2,00\,€.

Bei einem Zufallsversuch mit der Zufallsvariablen X, die allgemein die Werte x_1, x_2, \dots x_n annehmen kann, lautet die Formel zu Berechnung des Erwartungswerts E(X):

E(X)= x_1 \cdot P(X=x_1) + x_2 \cdot P(X=x_2) + … + x_n \cdot P(X=x_n)

Um den Erwartungswert zu bestimmen, benötigen wir also die Wahrscheinlichkeiten P(X = x_i) für das Auftreten der einzelnen Ausprägungen x_i der Zufallsvariable. 

Da die Wahrscheinlichkeiten beim Münzwurf für Kopf und Zahl jeweils \frac{1}{2} betragen, ergibt sich für den Erwartungswert:

E(X)= 1,00\,€ \cdot \frac{1}{2} + 2,00\,€ \cdot \frac{1}{2} = 1,50\,€ 

Beim Glücksspiel unterscheidet man zwischen einem fairen Spiel und einem nicht fairen Spiel. Beim fairen Spiel gleichen sich Gewinne und Verluste auf lange Sicht aus. Ein nicht faires Spiel hingegen verläuft auf lange Sicht zugunsten des Spielers oder der Bank.

Definiert man die Zufallsgröße als Differenz zwischen Einsatz und Gewinn, ist der Erwartungswert bei einem fairen Spiel gleich 0.

Hinweis: In der Regel gewinnt beim Glücksspiel auf lange Sicht die Bank und nicht der Spieler!

Erwartungswert einer diskreten Verteilung – Beispiele

Erwartungswert einfach erklärt am Beispiel eines Glücksrads

Ein Glücksrad wird einmal gedreht. Die Ergebnismenge für das unten abgebildete Glücksrad lautet:

\Omega = \{ \text{rot}, \text{gelb}, \text{blau} \}

Erwartungswert Beispiel Glücksrad

Die Wahrscheinlichkeiten lauten:

P(\text{rot}) = \frac{3}{6} = \frac{1}{2}

P(\text{blau}) = \frac{2}{6} = \frac{1}{3}

P(\text{gelb}) = \frac{1}{6}

An einem Stand zahlt Jurek einen Euro Einsatz und darf dann das Glücksrad einmal drehen. Bei rot bekommt er 10 Cent, bei blau 50 Cent und bei gelb 2 Euro zurück. Wir definieren die Zufallsvariable X als Differenz aus Gewinn und Einsatz:

Ergebnis des Experiments Ausprägung der Zufallsgröße X Wahrscheinlichkeit
rot 0,10\,€ - 1,00\,€ = -0,90\,€ \frac{1}{2}
blau 0,50\,€ - 1,00\,€ = -0,50\,€ \frac{1}{3}
gelb 2,00\,€ - 1,00\,€ = +1,00\,€ \frac{1}{6}

Wir können nun den Erwartungswert mit der Formel berechnen:

E(X)= -0,90\,€ \cdot \frac{1}{2} + -0,50\,€ \cdot \frac{1}{3} + 1,00\,€ \cdot \frac{1}{6} = -0,45\,€ 

Der negative Erwartungswert von -0,45\,€ bedeutet, dass Jurek im Schnitt einen Verlust von 45 Cent macht. Das Spiel ist daher nicht fair.

Erwartungswert beim Würfel

Wir betrachten als Beispiel den Erwartungswert E beim Würfel. Die Ergebnismenge beim Werfen eines normalen Spielwürfels ist:

\Omega = \{ 1; 2; 3; 4; 5; 6 \}

Wir können nun mithilfe der Formel den Erwartungswert beim Würfelversuch berechnen:

Da es sich um einen Laplace-Versuch handelt, sind die Wahrscheinlichkeiten für die sechs möglichen Ergebnisse beim Würfeln jeweils gleich \frac{1}{6}. Wir sprechen daher auch von einer Gleichverteilung und berechnen den Erwartungswert wie folgt:

E(X)= 1 \cdot \frac{1}{6} + 2 \cdot \frac{1}{6} + 3 \cdot \frac{1}{6} + 4 \cdot \frac{1}{6} + 5 \cdot \frac{1}{6}  + 6 \cdot \frac{1}{6} = 3,5

Erwartungswert besonderer diskreter Verteilungen

Erwartungswert einer Konstanten

Noch einfacher ergibt sich der Erwartungswert bei einer Konstanten, also einer Größe, die nicht variiert wird: In diesem Fall ist der Erwartungswert die Konstante selbst.

Erwartungswert bei einer Bernoulli-Verteilung

Bei einer Bernoulli-Verteilung, bei der die Zufallsvariable X nur zwei Werte annimmt, ist der Erwartungswert gleich der Erfolgswahrscheinlichkeit p:

E(X)= p

Erwartungswert einer Binomialverteilung

Erwartungswert der Normalverteilung

Die Normalverteilung N(\mu, \sigma^2)  ist über den Erwartungswert \mu definiert. Wir können ihn also direkt aus der Formel ablesen.

Erwartungswert der Dreiecksverteilung

Für eine dreiecksverteilte Zufallsvariable X lautet der Erwartungswert:

E(X)= \frac{a+b+c}{3}

Übersicht Erwartungswerte besonderer Verteilungen

  • Bernoulli-Verteilung: Erwartungswert E(X)= p
  • Binomialverteilung: Erwartungswert E(X)=n \cdot p
  • Konstante k: Erwartungswert E(X)=k
  • Geometrische Verteilung: Erwartungswert E(X)= \frac{1}{p}
  • Normalverteilung N(\mu, \sigma^2): Erwartungswert \mu
  • Dreiecksverteilung: Erwartungswert E(X)= \frac{a+b+c}{3}

Erwartungswert – Eigenschaften

Für den Erwartungswert gelten einige Rechenregeln. Wir betrachten dazu die folgende Tabelle zum Erwartungswert:

Summe von Erwartungswerten E(X)+E(Y)= E(X+Y)
Produkt von Erwartungswerten E(X) \cdot E(Y)= E(X \cdot Y)
Konstanten b + c \cdot E(X)= E(b + c\cdotX)

Weitere Größen zum Erwartungswert

Häufig wird die Streuung einer Größe um den Erwartungswert in der Mathematik untersucht, also die Abweichung vom Erwartungswert. Diese Größe nennt man die Varianz. Die Standardabweichung einer Zufallsgröße vom Erwartungswert ist die Wurzel aus der Varianz.

Sprechen wir von der Kovarianz beim Erwartungswert, beschreiben wir den Zusammenhang zweier Zufallsvariablen.

Im Zusammenhang mit bedingten Wahrscheinlichkeiten kann bei einem Zufallsexperiment auch ein bedingter Erwartungswert ermittelt werden. Wir sprechen dann als Abgrenzung auch vom totalen Erwartungswert bezogen auf die totalen Wahrscheinlichkeiten der Ergebnisse.

Auch in Bereichen außerhalb der Mathematik findet der Erwartungswert Anwendung, zum Beispiel wird in der Quantenmechanik mit dem Erwartungswert einer Wellenfunktion gearbeitet.

Häufig gestellte Fragen zum Erwartungswert

Der Erwartungswert ist eine Größe in der Stochastik. Er wird mit E(X) abgekürzt und gibt an, welchen Wert eine Zufallsgröße X im Mittel annimmt.

Den Erwartungswert berechnet man mit der Formel:
E(X)= x_1 \cdot P(X=x_1) + x_2 \cdot P(X=x_2) + … + x_n \cdot P(X=x_n)

Der Erwartungswert gibt an, welchen Wert eine Zufallsgröße im Mittel annimmt.

Der Erwartungswert kann den Wert 0 annehmen, wenn eine Zufallsvariable negative und positive Werte annehmen kann.

Bei einem fairen Spiel ist der Erwartungswert für den Gewinn genau 0.

Der Erwartungswert beim Würfeln ist 3,5, da alle Zahlen mit gleicher Wahrscheinlichkeit vorkommen. Der Wert lässt sich auch mit der Formel zum Erwartungswert bestimmen.

Wenn bei einer stetigen Verteilung das Integral \int\limits_{a}^{b} x \cdot  f(x) \text{d}x divergiert, also gegen unendlich geht, existiert kein Erwartungswert.

Die Streuung einer Größe um den Erwartungswert nennt man Varianz.

Die Standardabweichung vom Erwartungswert ist die Wurzel aus der Varianz.

Da der Erwartungswert eine theoretische Größe ist und auch nicht zwingend selbst angenommen werden kann, ist er nicht automatisch der wahrscheinlichste Wert.

Wenn die Zufallsvariable negative Zahlen annehmen kann, kann auch ihr Erwartungswert negativ sein.

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